Vergabe- und Vertragshandbuch für die Hochbaumaßnahmen des Bundes

 

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101   Aufträge mit besonderen Anforderungen an Geheimschutz, Sicherheit und Vertraulichkeit

 

1 Besondere Anforderungen an Geheimschutz, Sicherheit und Vertraulichkeit

2 Zuordnung

3 Anwendungsbereich und Anforderungen aus Regelungen in GWB, VSVgV, VOB/A sowie den RiSBau

3.1 Schwellenwert

3.2 Verteidigungs- oder sicherheitsrelevanter Auftrag im Sinne des § 99 Abs.7 GWB

3.3 Anwendung der VSVgV

3.4 Ausnahmen vom Anwendungsbereich der VSVgV

3.5 Formblätter des VHB

 

1

Besondere Anforderungen an Geheimschutz, Sicherheit und Vertraulichkeit

 

Bei verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Bauaufträgen können sich für die Vergabe und Abwicklung von Bauverträgen Besonderheiten aufgrund besonderer Anforderungen an Sicherheit, Vertraulichkeit oder Geheimschutz ergeben.

 

Unabhängig davon, ob ein Bauauftrag nach den Regeln der VSVgV i.V.m. den Regeln des 3. Abschnitts der VOB/A oder nach den Regeln des 1. Abschnitts der VOB/A zu vergeben ist, können sich Beschränkungen durch Belange von Geheimschutz bzw. Sabotageschutzergeben, dies sind insbesondere

 

-

die Aufnahme von Hinweisen und Vorgaben bezüglich Sicherheitsanforderungen und Sicherheitsmaßnahmen in die Bekanntmachung oder in die Vorbemerkungen der Leistungsbeschreibung,

 

-

die Aufstellung spezifischer Eignungskriterien, wenn bei Vergabe und / oder Auftragsausführung mit Verschlusssachen umgegangen werden muss, der Einsatz in Sicherheitsbereichen vorgesehen ist oder Sicherheitsüberprüfungen für den vorbeugenden personellen Sabotageschutz erforderlich sind (z. B. das Erfordernis einer bestimmten Anzahl bereits sicherheitsüberprüfter Arbeitskräfte), vgl. hierzu die Richtlinien zu 247 - Bauaufträge mit besonderen Anforderungen aufgrund Geheimschutz und / oder Sabotageschutz.

 

Die Regelungen für notwendige Sicherheitsüberprüfungen und für sonstige Vorkehrungen bei der Durchführung der Bauaufträge ergeben sich aus dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes (SÜG), dem Handbuch für den Geheimschutz in der Wirtschaft (Geheimschutzhandbuch-GHB), der Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VS-Anweisung-VSA) sowie den Vorschriften der Richtlinien für die Sicherheitsmaßnahmen bei der Durchführung von Bauaufgaben (RiSBau), die als Abschnitt K 16 Bestandteil der Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau) sind und gelten für alle verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Bauaufträge sowie Bauaufträge mit Anforderungen an den vorbeugenden Sabotageschutz.

2

Zuordnung

 

Die Festlegung,

 

-

welcher Anwendungsfall (siehe Nr. 3.2) vorliegt,

 

-

welcher Ausnahmefall (siehe Nr. 3.4) vorliegt,

 

erfolgt im Rahmen der Erstellung der Bauunterlage durch die nutzende Verwaltung und unterliegt der Nachprüfung im Verfahren gem. §§ 102 ff. GWB.

3

Anwendungsbereich und Anforderungen aus Regelungen in GWB, VSVgV, VOB/A sowie den RiSBau

3.1

Schwellenwert

 

Nach Artikel 8 der Richtlinie 2009/81/EG, umgesetzt in § 1 Abs. 2 VSVgV, entspricht der Schwellenwert für Bauaufträge dem für „klassische Aufträge“ (§ 2 Nr. 3 VgV).

3.1.1

Verteidigungs- und / oder sicherheitsrelevante Bauaufträge, wenn der Gesamtauftragswert der baulichen Anlage den Schwellenwert erreicht oder überschreitet

 

Die Vergabe richtet sich nach:

 

-

den Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

 

-

den Vorschriften der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit - VSVgV, Teil 1, Teile 3 bis 5) sowie

 

-

den Regelungen der VOB/A-VS (= 3. Abschnitt der VOB/A)

3.1.2  

Verteidigungs- und / oder sicherheitsrelevante Bauaufträge, wenn der Gesamtauftragswert der baulichen Anlage den Schwellenwert unterschreitet

 

Die Vergabe richtet sich nach Abschnitt 1 der VOB/A.

 

Hierbei können sich aus den Regelungen der RiSBau Beschränkungen durch Belange von Geheimschutz bzw. Sabotageschutz ergeben.

 

Auswirkung hat dies vor allem auf die Wahl der Vergabeart; zulässig sind grundsätzlich nur die Beschränkte Ausschreibung und die Freihändige Vergabe (Ziffer 7.2 RiSBau).

3.2

Verteidigungs- oder sicherheitsrelevanter Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 7 GWB

 

Neben der Erreichung des EU-Schwellenwertes ist Voraussetzung, dass es sich um einen Auftrag handelt, der „verteidigungs- oder sicherheitsrelevant“ im Sinne des § 99 Abs. 7 GWB ist. Es ergeben sich folgende Fallgruppen, die sich nach dem Auftragsgegenstand unterscheiden:

 

          

Bauauftrag verteidigungsrelevant

Bauauftrag sicherheitsrelevant

                             

 

 

 

Bauleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit Beschaffung von Militärausrüstung,
§ 99 Abs. 7 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 GWB         

Bauleistungen speziell für militärische Zwecke,
§ 99 Abs. 7 Nr. 4 Alternative 1 GWB         

Bauleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit Beschaffung von Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags,
§ 99 Abs. 7 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 GWB         

Bauleistungen im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags,
§ 99 Abs. 7 Nr. 4 Alternative 2 GWB         

 

 

 

 

Militärausrüstung ist jede Ausrüstung, die eigens zu militärischen Zwecken konzipiert oder dafür angepasst wird und zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt ist
(§ 99 Abs. 8 GWB)
- siehe Nr. 3.2.1.1.

Das sind Aufträge, die zur Erfüllung bestimmter militärischer Anforderungen erforderlich sind
- siehe Nr. 3.2.1.2.

Verschlusssachenauftrag ist ein Auftrag für Sicherheitszwecke,

-  bei dessen Erfüllung oder Erbringung Verschlusssachen
gem. § 4 SÜG des Bundes oder der Länder verwendet werden
(§ 99 Abs. 9 Nr. 1 GWB)
- siehe Richtlinie zu 247 Nr. 2, Fallgruppe 1 u. 2.

oder

-  der Verschlusssachen i. S. v. Nummer 1 erfordert oder beinhaltet
(§ 99 Abs. 9 Nr. 2 GWB)
- siehe Richtlinie zu 247 Nr. 2, Fallgruppe 3.

Hinweis:

Erfasst sind auch Verschlusssachen nur für
den Dienstgebrauch
(sog. VS-NfD),
§ 4 Abs. 2 Nr. 4 SÜG.

 

 

3.2.1

Erläuterungen

3.2.1.1

Bauleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit Lieferung gem. § 99 Abs. 7 Nr. 3 GWB

 

Es handelt sich entweder um Bauleistungen (sowie ggf. Lieferungen u. Dienstleistungen für Baumaßnahmen) in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lieferung von

 

-

Militärausrüstung oder

 

-

Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird. Darunter können Ausrüstungen für militärische oder andere sicherheitsrelevante Zwecke fallen.

3.2.1.2

Bauleistungen speziell für militärische Zwecke gem. § 99 Abs. 7 Nr. 4 GWB

 

Der Begriff der „Bau- und Dienstleistungen speziell für militärischen Zwecke“ ist nur insoweit definiert, als es sich um Aufträge handeln muss, die zur Erfüllung bestimmter militärischer Anforderungen erforderlich sind.

3.2.1.3

Verteidigungs- oder sicherheitsrelevante Bauaufträge im Sinne des § 99 Abs. 7 GWB und Sperrzonen oder Schutzzonen im Sinn der RiSBau

 

Die Begriffe Sperrzonen oder Schutzzonen kennt das GWB nicht, sie sind seit jeher Bestandteil der RiSBau. Sperrzonen und / oder Schutzzonen können bei einer verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Baumaßnahme eingerichtet sein, spielen aber für die Frage, ob diese Baumaßnahme in den Anwendungsbereich des § 99 Abs. 7 GWB fällt, keine Rolle.

3.3

Anwendung der VSVgV

 

Die Regelungen der VSVgV sind insgesamt für Dienst- und Lieferleistungen anzuwenden, für die Vergabe von Bauaufträgen sind nur anwendbar:

 

-

der Teil 1 der VSVgV (= §§ 1 - 4 und 6 - 9 VSVgV)

 

-

die Teile 3 - 5 der VSVgV (= §§ 38 - 42 und 44 - 46 VSVgV)

 

-

Nicht anzuwenden ist Teil 2 der VSVgV (§§ 10-37 VSVgV); diese Vorschriften enthalten Verfahrensregelungen, die nur für Liefer- und Dienstleistungsaufträge gelten; für Bauaufträge gilt an Stelle des Teils 2 der VSVgV Abschnitt 3 der VOB/A (= VOB/A-VS).

3.3.1

Besonderheiten im Anwendungsbereich der VSVgV sowie der VOB/A-VS

3.3.1.1

Anwendung der VOB/A-VS

 

Für Bauaufträge bleibt es im Wesentlichen bei den Regelungen wie sie für Bauaufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte im 2. Abschnitt der VOB/A bestehen. Im neuen 3. Abschnitt der VOB/A wurden auf Basis der Regelungen des 2. Abschnittes die Vergabebestimmungen der Richtlinie 2009/81/EG Verteidigung und Sicherheit ergänzt. Der 3. Abschnitt der VOB/A ist daher im Zusammenhang mit dem 1. Teil der VSVgV, also den allgemeinen Bestimmungen, und den Teilen 3 bis 5 VSVgV das einschlägige Regelwerk.

 

3.3.1.2

Abweichungen gegenüber Abschnitt 2 der VOB/A

 

Gegenüber den Regelungen des 2. Abschnitts der VOB/A ergeben sich Besonderheiten, insbesondere findet das offene Verfahren nicht statt. Die Vergabestelle hat die freie Wahl zwischen nicht offenem Verfahren und Verhandlungsverfahren mit öffentlicher Vergabebekanntmachung. Die Anwendung von Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung und wettbewerblichem Dialog sind an bestimme Voraussetzungen gebunden.

 

Ergänzungen finden sich vor allem in §§ 6 VS, 8 VS, 12 VS, 16 VS, 18 VS, 20 VS der VOB/A Abschnitt 3.

3.4

Ausnahmen vom Anwendungsbereich der VSVgV

 

Liegt einer der nachfolgenden Ausnahmefälle vor, sind diese Vorschriften nicht anwendbar und der Auftrag ist im Wege eines Vergabeverfahrens nach Abschnitt 1 der VOB/A zu vergeben.

3.4.1

Ausnahmen gem. § 100 Abs. 6 und 7 GWB

 

Vom Anwendungsbereich des GWB ausgenommen sind Aufträge, bei denen die Anwendung des 4. Teils des GWB den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht sowie solche Aufträge, die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.

 

Wesentliche Sicherheitsinteressen sind bei Verträgen berührt, die so vertraulich und wichtig für die nationale Souveränität sind, dass selbst die besonderen Bestimmungen für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Bauaufträge nicht ausreichen, um diese Interessen zu schützen. Dies kann insbesondere bei Aufträgen der Fall sein, die so geheim sind, dass sogar ihre Existenz geheim gehalten werden muss.

3.4.2

Ausnahmen gem. § 100 Abs. 8 GWB

 

§ 100 Abs. 8 GWB betrifft die Vergabe von Aufträgen, die zwar nicht i.S.v. § 99 Abs. 7 GWB verteidigungs- oder sicherheitsrelevant sind, aber aufgrund der in § 100 Abs. 8 GWB genannten Merkmale von der Anwendung des 4. Teils des GWB insgesamt ausgenommen sind. Die Bestimmungen des § 100 Abs. 8 Nr. 1 bis 3 GWB werden nach heutigem Stand voraussichtlich nur selten anzuwenden sein.

 

Die Ausnahmen gem. § 100 Abs. 8 Nr. 4 bis 6 GWB betreffen insbesondere Aufträge in Zusammenhang mit Bauvorhaben für die NATO oder die Stationierungsstreitkräfte mit zivilem Charakter - siehe Nr. 3.4.3, 2. Tiret -. Für solche Baumaßnahmen gelten die Richtlinien 620 (RiNATO) sowie die Richtlinien zu 246 (Aufträge für Gaststreitkräfte).

3.4.3

Ausnahmen gem. § 100c GWB

 

In den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ergeben sich aus § 100c GWB weitere Ausnahmen, insbesondere:

 

-

gem. § 100c Abs. 2 Nr. 2 GWB gilt der 4. Teil des GWB nicht für die Vergabe von Aufträgen, die „zum Zwecke nachrichtendienstlicher Tätigkeiten vergeben werden“.

 

-

§ 100c Abs. 4 GWB betrifft insbesondere Aufträge im Zusammenhang mit verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Bauvorhaben für NATO oder Gaststreitkräfte. Zusammen mit der Regelung des § 100 Abs. 8 Nr. 4 bis 6 GWB hat diese Bestimmung zur Folge, dass derartige Aufträge in jedem Fall von der Anwendung des 4. Teils des GWB ausgenommen sind. Für solche Baumaßnahmen gelten die Richtlinien 620 (RiNATO) sowie die Richtlinien zu 246 - Aufträge für Gaststreitkräfte.

3.5

Formblätter des VHB

 

Die Richtlinien und Formblätter des VHB sind grundsätzlich auch bei Vergaben, die nach den Regelungen der VSVgV und der VOB/A-VS zu behandeln sind, anzuwenden.

 

Im Hinblick auf die Besonderheiten im Verfahren sind ergänzend folgende Richtlinien und Formblätter zu beachten:

 

Richtlinie 123VS 

Bekanntmachung

 

Formblatt 125

Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung

 

Formblatt 126

Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung – Unterauftragnehmer

 

Formblatt 211VS

Aufforderung zur Abgabe eines Angebots VS

 

Formblatt 212VS

Bewerbungsbedingungen VS

 

Formblatt 247

Aufträge mit besonderen Anforderungen aufgrund Geheimschutz und / oder Sabotageschutz

 

Richtlinien 247

Aufträge mit besonderen Anforderungen aufgrund Geheimschutz und / oder Sabotageschutz

 

Formblatt 337

Ergänzung Absageschreiben Verschlusssachenvergaben (unverändert)

 

Die Bekanntmachung eines VS-Auftrages im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG erfolgt mit dem Standardformular 17 entsprechend Anhang XVI der Durchführungsverordnung (EU) 842/2011. Die Anleitung zum Muster 123 (Auftragsbekanntmachung im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG) enthält die bei VS Maßnahmen zu beachtenden Regelungen.